Rubrik: Europastrasse

Schlüssel

Kurz vor der makedonischen Grenze will ich noch tanken. Trotz allem bedeutet für mich eine Grenze wieder einen Aufbruch in Unbekanntes. Da finde ich es ganz gut, gut organisiert zu sein. Die E75, hier eine klassische Fernstrasse wie ich sie mir am Balkan vorstelle: Schnurgerade so weit das Auge reicht, zweispurig plus Pannenstreifen, doppelte Sperrlinie, was immer sie genau bedeuten mag.

Die Tankstelle ist von Weitem zu sehen, aus der Nähe jedoch fast nicht mehr zu erkennen. Das Areal ist vollgepflastert mit Flüchtlingszelten. Ich bahne mir meinen Weg durch das kleine Dorf, halb so viele Einwohner wie in meiner Heimatgemeinde. Zwischen 1.500 und 2.000 Leute leisten mir Gesellschaft beim Tanken.

Ich bleibe ein wenig. Am Abend gehe ich mit freiwilligen Helfern in ein Lokal. Plötzlich legt einer der Helfer einen Schlüssel auf den Tisch.

Schlüssel

Es ist der Hausschlüssel eines Syrers, gibt ihn ihm mit den Worten: “Ich schenk’ ihn Dir, ich brauche ihn nicht mehr.”

Piräus

goal

Frühe Ankunft. Ich mache mich auf die Suche nach dem geräumten Flüchtlingslager ‘an der Hafenmauer’ wie ich gelesen habe. Natürlich stehen noch Zelte hier. Es ist nicht geräumt, obwohl es so berichtet wurde. Sieben Uhr früh. Alles ruht. Ein paar Leute sieht man doch. Ein grosser Hafenparkplatz mit Bodenmarkierungen, Betonblöcken. Diese versuchen eine Struktur vorzugeben. Rundgang. Die Zelte. Ich schätze 100. Daneben ein Asphaltplatz mit  zwei gezimmerten Toren, Netze aus einem orangem Geflecht. Gut gemacht. Fussball. Doch noch herrscht Ruhe.

Ein paar Caravans stehen da. Für Hilfsmaßnahmen. Auf einem klebt ein Zettel ‘Doctor’. Es wirkt organisiert, jedoch sind die Mittel bescheiden. Entlang der Halle mobile WCs, rund zwanzig. Nun sehe ich das Hallentor. Dahinter, eine ganze Lagerhalle voller Zelte, voller voller Zelte. Ein paar Stimmen, noch herrscht Morgenruhe. Strenger Geruch liegt in der Luft. Eine Informationstafel, beklebt mit Zetteln. Hier kann man erfahren, wie es weitergehen kann. Wohin – oder auch nicht. Auf arabisch, auf farsi, auf englisch. Die Sonne geht auf. Die Zelte im Freien sind ab nun der Hitze ausgesetzt.

Dann spreche ich mit einem Flüchtling, seit wann er in diesem Lager sei. Seit 2 Monaten – too long. Er will weiter nach Italien, seine Familie ist dort. Er kennt die Route. Noch sitzt er hier. Ich rede mit einem freiwilligen Helfer, einem jungen Rumänen. We help with Food, Chai and Love. That’s what we can do. Dann arbeitet er weiter.

Es ist eines von zwei Flüchtlingslagern hier in Piräus. Das eine mit rund 1.000 Flüchtlingen, das andere mit über 5.000. Es gibt Hilfe, aber es sind keine staatlich eingerichteten Lager.

Pireaus

In was für ein Europa fahre ich eigentlich?

Die Idee zu diesem Projekt hatte ich schon vor mehreren Jahren. Als mir bewusst wurde, wie umfangreich das Netz der Europastrassen ist, als ich auch in Asien auf Europastrassen stiess, als mir klar wurde, wie unklar mir und vielen Anderen die Idee dahinter ist, da entschloss ich mich, eine dieser Strassen von A bis Z entlangzufahren. The Map is not the Territory. Hier erfahre ich was über unseren Kontinent, über uns.

Vardø erregt meine Aufmerksamkeit. Ein Dorf am Ende der Welt. So zumindest sehe ich es aus meiner Perspektive. Ich gebe zu, ich nehme die Welt oft als Scheibe wahr. Doch an genau dieses Ende führt eine Europastrasse. Wieso? Am anderen Ende: Sitia auf Kreta. Das dürfte etwas bekannter sein, mir sagt es zunächst auch nichts. Wenn schon nicht das Ende der Welt, das Ende Europas jedenfalls.

Also wird die E75 Europastrasse meiner Wahl. Mich begeistert, dass sie von Nord nach Süd von Süd nach Nord den gesamten Kontinent durchquert, soviele Kulturen unserer Kultur berührt. Sitia, einer der südlichsten Punkte Europas. Südlicher als die Meerenge von Gibraltar, südlicher als Sizilien. Vardø hingegen ein gutes Stück nördlich des Polarkreises Weiterlesen